Thiel: ein treuer Staatsdiener und Ehemann (0:10-2:32)
Thiel ist Bahnwärter und führt seinen Dienst gewissenhaft aus. Nur zweimal kann er ihn nicht ausüben, weil er durch ein Stück »Kohle« und eine »Weinflasche« (S. 3), die von den vorbeifahrenden Zügen herabfallen, verletzt wird. In diesen Textstellen wird auf die Gefahr seiner Arbeit hingewiesen. Der Bahnwärter lebt ein frommes Leben und geht jeden Sonntag in die Kirche.
»Eines schönen Tages« (S. 3) taucht an Thiels Seite die schmächtige und »kränklich« aussehende Minna auf. Die beiden heiraten. Doch nur zwei Jahre später stirbt seine Frau im Wochenbett. Das gemeinsame Kind, Tobias, überlebt. Ein Jahr nach Minnas Tod heiratet Thiel erneut, und zwar Lene. Mit Lene zusammen hat Thiel ebenfalls ein Kind.
Seine zweite Ehefrau erweist sich, wie von Thiel erhofft, als »eine unverwüstliche Arbeiterin, eine musterhafte Wirtschafterin« (S. 5). Dieser pragmatische Grund war auch warum er erneut heiratet, wie er zuvor dem Pastor erklärt. Doch das wahre Gesicht von Lene zeigt sich bald. Sie besitzt eine »harte, herrschsüchtige Gemütsart« (S. 5), obendrein ist sie zanksüchtig und brutal leidenschaftlich. Thiel selbst scheint ihre Ausbrüche zu erklären. Wehren tut er sich nur manchmal, wenn es um den kleinen Tobias geht. Doch nach dem ersten Ehejahr gibt er seinen Widerstand auf. Durch die ganze Novelle hindurch wird bewusst, dass Thiel von Lene abhängig ist (S.16) Stattdessen erhebt er sein einsames Bahnwärterhäuschen zu einer Art Erinnerungskapelle an seine verstorbene Frau. Tobias bleibt in seiner Entwicklung zurück. Er lernt erst spät sich zu verständigen. Als er dies jedoch besser kann, erwacht Thiels Liebe zu ihm erneut. Lene spürte daraufhin grosse Eifersucht und bestraft Tobias mit «Abneigung» (S.9).
Als Lene selbst einen Jungen zur Welt bringt, «begann für Tobias eine schlimme Zeit.» (S. 9) Tobias wird von seiner Stiefmutter ausgenutzt, geschlagen und zerfällt sichtlich. Die Dorfbewohner, können das Elend beobachten, schweigen aber: »so wurden hinter den Fenstern der Hütten Verwünschungen laut, die sich jedoch niemals hervorwagten.« (S. 9)
Thiel versagt als Vater: (2:32-3:29)
An einem Junimorgen kehrt Thiel nach seinem Dienst nach Hause zurück. Nele ist besonders missgelaunt, weil ihnen der Pachtacker gekündigt worden ist (S.10). Doch Thiel hatte bereits einen neuen Acker erhalten. Am gleichen Tag geht Thiel mit Tobias ins Dorf mit den anderen Kindern spielen. Diese mögen Thiel sehr gerne und nennen ihn «Vater Thiel» (S.12). Doch nur kurze Zeit darauf wird die Ruhe zerstört. Auf dem Weg zur Arbeit bemerkt Thiel, dass er sein Brot vergessen hat. Daraufhin marschiert er nach Hause zurück. Schon von Weitem hört er seine keifende Frau. Er schleicht sich ans Haus und wird Zeuge, wie Tobias beschimpft und geschlagen wird. Doch als er das Haus betritt konnte er nichts gegen seine Frau sagen. Lene beschuldigt ihn sogar, dass er sie belauschen würde. Ohne Tobias Beachtung zu schenken, nahm er sein Brot und verliess das Haus.
Thiels innere Unruhe: (3:29-4:00)
Als Thiel seinen Dienst antritt, spürt er eine Unruhe. Um diese zu besänftigen, beginnt er den neuen Acker umzugraben. Wissend, dass Lene bald in diese Welt, welche seine war, eindringen wird, baut sich Widerwillen in ihm auf (S.21). In seiner Hütte zurück, beginnt er nachzudenken, bis er einschläft. Es erscheint ihm eine Traumvision, in der Minna auftaucht.
Zugunglück: (4:00-5:18)
Am nächsten Morgen geht die Familie zusammen in den Wald, um den Acker umzugraben und Kartoffel zu stecken. Lene beginnt zügig zu arbeiten und Thiel zeigt Tobias die Bahnstrecke. Nach dem Mittagessen tritt Thiel seinen Dienst an und überlässt Lene die Aufsicht seiner zwei Kinder. Tobias soll auf den Säugling aufpassen. Dabei warnt Thiel Lene noch, dass Tobias «den Geleisen nicht zu nahe kommt.» (S.31). Lene antwortet mit einem «Achselzucken» (S.31). Anschliessend muss Thiel zuschaue, wie Tobias vom schlesischen Schnellzug erfasst wird. Der halbtote Junge wird von Lene und ein paar Männern abgetragen. Daraufhin sieht Thiel ein Eichhörnchen auf den Gleisen. In ihm steigt eine riesige Wut gegen Lene auf. Er bezeichnet sie als Mörderin und will sie töten: «mit dem Küchenbeil will ich sie schlagen, und da wird sie verrecken.» (S.37) In Folge würgt er den gemeinsamen Sohn. Doch auf einmal wird Thiel bewusst was er gerade tut und lässt die Finger vom Hals des Säuglings. Als die Männer und Lene mit der Nachricht vom Tod von Tobias zurückkehren, bricht Thiel zusammen. Doppelmord: (5:18-6:00) Nachdem Thiel zusammenbricht, wird er in sein Haus gebracht. Von Lene fällt der frühere Trotz ab (S.42). Als einige Männer mit der Leiche von Tobias das Haus betreten, erwartet sie ein Schrecken. Lene und der Säugling wurden ermordet. Thiel ist geflohen. Am nächsten Morgen finden sie ihn an der Unglücksstelle. Er hält die braune Kappe von Tobias in den Händen und ist in seiner eigenen Welt versunken. Thiel ist wahnsinnig. Einen Tag verbringt er im «Berliner Untersuchungsgefängnis» (S. 43). Danach wird er in die «Irrenabteilung der Charité überführt» (S.43).
Erzählperspektive: (6:00-8:07) Die Geschichte «Bahnwärter Thiel» wird zum grössten Teil von einem auktorialen (allwissenden) Erzähler vorgestellt.10 Er ist daran zu erkennen, dass er nicht in die Handlung involviert ist. Der Erzähler spricht in berichtender Form von den Ereignissen. Diese Berichtsform wird aber ergänzt durch sehr genaue Beschreibungen. Zum Beispiel zeigt er die negativen Eigenschaften von Lene. Diese erkennt er als allwissender bereits vor Thiel: Sie sei herrschsüchtig, zänkisch und brutal-leidenschaftlich (S. 5). Der Erzähler weiss auch was im Inneren einer Figur vor sich geht. Zum Beispiel, dass die Menschen im Dorf Thiel bedauern als dieser Lene heiratet (S.5). 11 Nur wenige Textstellen unterbrechen dessen Berichte. Diese Absätze werden von einem personalen Erzähler ergänzt. In diesen Textstellen werden die Bewusstseinsströme von Thiel beschrieben (S.36). Die personale Erzählweise ist gut daran zu erkennen, dass in ihr die erlebte Rede zum Einsatz kommt: Die Gedanken einer Figur werden wiedergegeben, ohne dass diese durch eine direkte oder indirekte Rede gekennzeichnet wären.11 Gerade aufgrund der Psychose welche Thiel entwickelt, ist der personale Erzähler gut zu erkennen. Denn in solchen Abschnitten wird die Geschichte aus Sicht einer Person mit Wahnvorstellungen erzählt. Ein Zug wird zum Beispiel als das „schwarze, schnaubende Ungetüm“ (S. 20) charakterisiert. Die erzählte Zeit beträgt fast 10 Jahre. Diese sind im 1. Kapitel bündig dargestellt. Die Kernhandlung, sowie das Zugunglück umfasst eine Zeitspanne von drei Tagen. Die Tragödie beginnt an einem Samstag, «An einem Junimorgen gegen sieben Uhr» (S.10). Am folgenden Montag verunglückt Tobias tödlich und Thiel begeht den Doppelmord (wahrscheinlich in der Nacht von Montag auf Dienstag). Nach der Flucht von Thiel wird dieser am Dienstag gefunden.10 Motive/Symbole Die dämonisierte Natur (8:07-11:17) Die Eisenbahn ist ein sehr zentrales Symbol in der Novelle. Sie zeigt sowohl den Fortschritt der Menschheit, aber auch die damit verbundene Gefahr. Die Eisenbahn wird als Ungeheuer dargestellt und als Anspielung auf den Tod verwendet. Zu Beginn der Novelle wird in einer Winternacht ein Rehbock von einem Schnellzug überfahren(s. 7) und zum Ende, kurz bevor Thiel einen Zusammenbruch erlitten hat, kann sich ein Rehbock samt seiner Herde vor dem heranrollenden Zug retten. Das Rudel von Rehen stellt das eigene Versagen von Thiel dar. Der Rehbock kann das Rudel vor dem Zug warnen, und somit seine Familie retten. Dies gelingt Thiel nicht.(s.11) Der am Anfang überfahrene Rehbock symbolisiert die genannte Gefahr, die von der Eisenbahn ausgeht und auch die Todesursache von Thiels Sohn Tobias vorausdeuten. Auch der Pudel hat eine symbolhafte Rolle in Hauptmanns Werk. Zunächst begegnet Thiel ein alter Pudel, als er nach Hause eilte, um das vergessene Brot zu holen. (S.21) Dabei wird er Zeuge von der schrecklichen Art, wie Tobias misshandelt wird. Möglicherweise orientiert sich Hauptmann an Goethes Faust, bei dem der Teufel in Gestalt eines Pudels auftritt. Denn in beiden Malen symbolisiert der Pudel ein Unglück im Bezug auf Thiels Sohn Tobias.12 Ein weiteres Symbol aus der Tierwelt, welchem sich Hauptmann bedient, ist das Eichhörnchen. Es huscht vorbei, während Thiel gemeinsam mit seinem Sohn, kurz vor dem Aufprall mit der Eisenbahn, die Strecke gemeinsam abgeht.Tobias stellt seinem Vater die Frage, ob das Eichhörnchen Gott sei. Dieses gilt üblicherweise aber als Teufelssymbol.12 Nach dem Tod von Tobias sah auch Thiel das Eichhörnchen als Gott, obwohl er seinen Sohn für dessen Sichtweise zuerst belächelte. Nach dem Unfall meint er den lieben Gott über den Weg springen zu sehen, worin er ein Feindbild erkennt, und unternimmt daraufhin den ersten Versuch den Säugling umzubringen.12 Am Ende der Novelle, nach dem Mord an Lene und des Säuglings sitzt er an den Gleisen und hält eine braune Pudelmütze in der Hand, die Tobias gehört hat und welche dieser zum Zeitpunkt des Unglücks trug. Die Mütze symbolisiert die zwei Welten, in denen der Bahnwärter lebt. Einmal die Welt seiner ersten, verstorbenen Frau, welcher er noch lange nachruft. Und die tragische zweite Welt, wo er mit seiner zweiten Frau lebt. Diese zweite Welt scheint für ihn zu diesem Moment aber als vergessen.12 Möglicherweise orientiert sich Hauptmann an Goethes Faust, bei dem der Teufel in Gestalt eines Pudels auftritt, denn in beiden Malen symbolisiert der Pudel ein Unglück in Bezug auf Thiels Sohn Tobias.12 Farbige Erscheinung (11:17-13:45) Die Farbe Rot ist in der Natur immer wieder zu erkennen. Zum Beispiel der Mond als purpurglühende Kugel (S.63), das rote Feuer des Abends (S.56) oder der rote Nebel (S.60). All diese naturbezogenen Ansammlungen werden immer in Verbindung mit Thiels Angst um Tobias gebracht. Nicht zuletzt ist sie mit Hinweisen auf den Tod besetzt. Die Farbe und beschreibt beispielsweise die äußerlichen Merkmale von Tobias, denn dieser hat brandrote Haare (S.13) und an seiner Wange bemerkt Thiel weiß-rote Fingerspuren (S.15). Das Gesicht des Tobias wird als kreidig (S.9) beschrieben, auch wird er einmal von Thiel beim Kalk essen (S. 17) erwischt und seine Lippen werden als blutlos (S. 16) in der Novelle erwähnt. Zu allerletzt wurde Tobias nach seinem Unglück in eine rote Fahne eingewickelt.12 Die Farbkombination rot-weiß taucht bei Tobias’ äußerlichen Beschreibungen oft auf und vermittelt dem Leser einen gefahrenträchtigen und lebensbedrohenden Eindruck, da die blutlosen Lippen und das Kalkessen auf einen schlechten gesundheitlichen Zustand hindeuten.12 Letztlich wird sogar die Eisenbahn mit der Farbe Rot in Verbindung gebracht. So geht von den zwei roten, runden Lichtern, welche die Dunkelheit durchdrungen haben, ein blutiger Schein aus, welcher den Regen in einen Blutregen (S.38) verwandelt hat. Die Eisenbahn ist für eine Tragödie verantwortlich, denn die Bedrohlichkeit der Eisenbahn wird durch den Blutregen, welcher der Situation eine apokalyptische Stimmung verleiht eindeutig gemacht(S.32), da Tobias von diesem Ungetüm (S. 38) letztendlich erfasst wird und sein Leben verliert.12 Schwarz kommt als Farbe am zweithäufigsten vor, jedoch oft in Kombination mit anderen Farben wie zum Beispiel Grün. Da Grün für die Hoffnung steht, kann man interpretieren, dass diese mit Thiels Hoffnung in seiner zweiten Ehe in Verbindung steht. Als Thiel auf Lene traf, hoffte er eine Frau gefunden zu haben, welche sich gut um Tobias kümmert.12 Da sich die Farbe Schwarz am Ende wiederholt, ist es im Zusammenhang mit Tobias Tod zu deuten, welcher ihn stark mitnahm. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Thiel um die verstorbene Lene oder den Säugling trauert, weshalb die Farbe sich wahrscheinlich nicht darauf bezieht. Die Trauer um Minna und Tobias bringen ihn jedoch um den Verstand.12 Figurencharakterisierung & Konstellation
Thiel: (13:45-15:24) Der Vorname von Thiel ist nicht bekannt. Sein äusserliches Erscheinen wirkt stark, mit seinem «breite, beharrten Nacken» (S.4), seinen sehnigen Armen (S. 5) und harten und plumpen Händen (S. 15) 1 Er hat rote Haare und ein sommersprossiges Gesicht. Er achtet darauf ordentlich und gepflegt auszusehen. Seit zehn Jahren arbeitet Thiel als Bahnwärter (S. 8). Er wohnt in der Kolonie Schön-Schornstein (S. 3) bei Berlin. Als Bahnwärter ist es seine Aufgabe, die Gleise zu richten, sowie die Schranken am Bahnübergang zu schliessen. Seine Arbeit verrichtet er «mechanisch» (S.18), ohne gross darüber nachzudenken. Er ist ein religiöser Mann und geht jeden Sonntag in die Kirche. Mit seiner ersten Frau Minna bekommt er den Sohn Tobias. Nach Minnas Tod heiratet Thiel seine zweite Frau Lene und wird erneut Vater. Thiel pflegt nicht viele Kontakte mit anderen. Nur mit Kindern spricht er gerne. Für Thiel entstehen zwei Welten. Eine Welt, in der er seiner ersten Frau Minna nachtrauert, die andere, in der er mit seiner zweiten Frau Lene lebt. Am Ende der Novelle wird Thiel verrückt. Für ihn existiert nur noch eine Parallelwelt, in der Tobias und Minna noch leben. Sein reales Leben gibt er auf um bei seiner ersten Familie zu sein, da er in dieser Welt glücklich ist. Am Ende wird er in die «Irrenabteilung der Charité überführt» (S.49). 3 Minna: (15:24-16:04) Minna ist die erste Frau von Thiel. Sie ist eine sehr religiöse Frau und geht sonntags mit ihrem Mann in die Kirche. Das Aussehen von Minna wirkt sehr zerbrechlich. Sie ist schmächtig und sieht kränklich aus. Sie hat ein feines Gesicht mit eingefallenen Wangen. Zusammen mit Thiel bekommt sie einen Sohn, verstirbt aber „im Wochenbett“ (S. 4) im zweiten Ehejahr. Nach ihrem Tod lebt sie in den Gedanken des Bahnwärters weiter. Sie erscheint in seinen Träumen (S. 24). 2 Lene: (16:04-17:30) Lene ist die zweite Frau, welche Thiel heiratet. Sie arbeitet als Kuhmagd, bis sie Thiel heiratet (S. 4). Nach der Hochzeit kümmert sie sich um die Kinder und arbeitet auf dem Feld. Lene ist dick und stark (S. 4). Sie hat ein grobes Gesicht. Lene steht im starken Kontrast zu Minna. Der Grund für Thiels zweite Hochzeit ist, dass er jemanden zum „wirtschaften“ braucht (S. 4). Diese Anforderungen erfüllt Lene. Doch in anderen Aspekten hat sich Thiel getäuscht. Das wahre Gesicht von Lene zeigte sich schnell. Sie übt Dominanz aus und Thiel ist seiner Frau unterworfen. Charakterlich ist Lene eine schwer zu ertragende Person. Sie ist „eine harte, herrschsüchtige Gemütsart» (S. 5). Durch die Heirat wird Lene Stiefmutter von Tobias. Nachdem sie ihr eigenes Kind bekommt, entwickelt Lene eine starke Abneigung gegen Tobias (S. 9). Zu diesem Zeitpunkt ist Tobias selbst erst zwei Jahre alt. Gegenüber Tobias ist Lene auf eine brutale Weise gewalttätig, wovon Thiel Zeuge wird. Nach dem Zugunglück ist Lene nicht mehr wiederzuerkennen. Sie beginnt zu wimmern und aller Trotz fällt von ihr. Nach dessen Zusammenbruchs kümmert sie sich um Thiel. Am Ende der Novelle wird sie zusammen mit ihrem Säugling von ihrem Mann ermordet.4 Tobias: (17:30-18:34 Tobias ist der erste Sohn von Thiel und dessen erster Frau Minna. Er wird zu Beginn der Handlung geboren (S. 4). Seine Mutter verstirbt im Wochenbett. Er wird von seinem Vater und seiner Stiefmutter Lene aufgezogen. Tobias wird als «schwächlich» bezeichnet (S.4). Tobias hat blaue, tiefliegende Augen (S. 10), rote Haare und eine bleiche Hautfarbe (S. 9). Er entwickelt sich zu langsam. Sein Körper ist schmächtig, aber sein Kopf ist sehr groß. Er wird von Lene dazu verpflichtet sich um den Säugling zu kümmern. Von seiner Stiefmutter wird er stark misshandelt. Sein Vater hingegen trägt sehr viel Liebe für Tobias in sich. Tobias ist sehr verspielt, schüchtern und freundlich. In der Novelle wird er als unschuldiges Opfer dargestellt. Als die ganze Familie auf den Acker geht, kommt es zu einem Zugunglück. Tobias wird dabei vom Zug erfasst und stirbt kurze Zeit später an seinen Verletzungen.
Besondere sprachliche Mittel (18:34-20:38) In der Novelle werden sprachliche Mittel aus verschiedenen Gründen verwendet. Teilweise sagen sie eine Handlung voraus, oder verdeutlichen die Stimmung einer Textstelle. Gerade in dieser Novelle wurden viele Mittel verwendet. Erst bei einer genaueren Beobachtung wird bewusst, wie Hauptmann diese eingesetzt hat. Es werden zum Beispiel Metaphern verwendet. Das Zerbrechen der Uhr, die Thiel bei sich trägt (S. 35), deutet zum Beispiel auf das innere Zerbrechen von Thiel hin. Die Natur welche Thiel umgibt, spiegelt seinen seelischen Zustand wieder. Das meistgebrauchte Stilmittel der Novelle ist der Vergleich. Einige Beispiele sind: «die Blätter an den Bäumen flattern „wie gespenstige Rossschweife“ (S. 23), die Drähte zwischen den Telegrafenmasten erinnern an „das Gewebe einer Riesenspinne“ (S. 19)».6 Auf Seite drei wird das ordentliche Zusammenleben von Minna und Thiel mit einer Anapher verdeutlicht. „Zwei Jahre nun saß das junge, zarte Weib ihm zur Seite in der Kirchenbank; zwei Jahre blickte ihr hohlwangiges, feines Gesicht […] in das uralte Gesangsbuch“ (S. 3). In den Träumen von Thiel werden viele Stilmittel verwendet. Minna trage im Traum etwas „Schlaffes, Blutiges, Bleiches“ (S. 24).6 Dieser Asyndeton ist gleichzeitig eine Metapher dafür, dass es Tobias nicht gut geht. Auf Seite 22 wird der Reim „Brausen und Sausen“ verwendet. In seinem Angstanfall muss Thiel erleben, wie „Die Scheiben klirrten, die Erde erbebte“. An dieser Stelle wird ein Parallelismus benutzt. Es ist wichtig zu erwähnen, dass der Autor in gewissen Situationen auf Stilmittel verzichtet hat. Er verzichtet auf die Verwendung von Euphemismen, Metaphern, Symbolik oder sonstigen Mitteln an den Stellen, an denen es sich um Gewalt oder Tod handelt.6 Thema / Aussage des Werks (20:38-22:18) Die Novelle beschreibt den Leidensweg von der Hauptfigur Thiel. Zu Beginn ist er ein fleissiger und pflichtbewusster Bahnwärter. Am Ende wird er in eine Psychiatrie eingewiesen. Die Geschichte zeigt, wie sich ein Mensch aufgrund von Ereignissen in seinem Leben verändern kann. Dies bezieht sich nicht nur auf Thiel, welcher nach dem Tod seines Sohnes zum Mörder wird und am Ende als wahnsinnig bezeichnet wird. Auch Lene verändert sich nach dem Tod von Tobias. Zuvor kümmerte sie sich kaum um ihn, war sogar gewalttätig. Die Sicherheit von Tobias war ihr gleichgültig. Als Thiel sie davor warnt, dass Tobias nicht zu nahe an die Gleise kommen soll, reagierte sie mit einem Achselzucken (S.31). Doch nach dem Unglück beginnt Lene ununterbrochen zu Wimmern. Da es sich bei dem Werk um eine novellistische Studie handelt, ist die Geschichte sehr komplex. Es ist ein Zeitbild des Landlebens im 19. Jahrhundert. Der technische Hintergrund der Industrialisierung wird mit der Eisenbahn klar aufgezeigt.5 Die Industrialisierung ist ein sehr wichtiges Zeitalter für die Menschheit. Viele Erfindungen kamen auf den Markt und das Arbeiten mit Maschinen wurde immer üblicher. Dies war ein riesiger Fortschritt. Doch dieser Fortschritt brachte auch Gefahren mit sich. Die Umwelt wurde verschmutzt. Die Arbeit mit Maschinen war gefährlich und man konnte dabei sogar sterben. Diese Gefahr, die der Mensch selbst kreierte, spiegelt sich in der Eisenbahn wieder, Besonderheit der Textform (22:18-25:19) Bahnwärter Thiel: Novelle oder novellistische Studie? Obwohl die Lektüre als novellistische Studie bezeichnet wird, wird sie häufig als Novelle behandelt. Die Frage ist, ob das Werk eindeutig einer einzelnen Textform zugeordnet werden kann. Formal gesehen weist die Geschichte folgende Merkmale einer Novelle auf: Es ist eine geschlossene Geschichte. Anfang und Ende sind klar zu erkennen. Die Lektüre ist mit 40 Seiten kurzgehalten und schnell erzählt. Die Novelle enthält eine Einleitung, eine steigende Spannungskurve bis zum Höhe- und Wendepunkt, wonach die Kurve abfällt und eine Auflösung der Situation erfolgt. Dies ist auch bei Bahnwärter Thiel der Fall. 7 Bahnwärter Thiel besteht aus drei Kapiteln. Das erste Kapitel (s.3-9) dient als Exposition und leitet die Handlung ein. Der Konflikt zwischen Thiel und Lene wird bewusst, genauso wie seine Doppelexistenz. In Kapitel zwei (s.10-17) wird klar, dass Thiel seine zweit Welten nicht trennen kann, da er Lene einen neuen Acker besorgte. In diesem Kapitel zögert der Autor die Katastrophe noch heraus, baut aber Spannung auf. Im dritten Kapitel (s.17-43) beginnt Thiel krankhafte Züge anzunehmen, als Minna ihm im Traum erscheint. Seine Doppelexistenz bricht zusammen und eine Katastrophe entsteht. Zu Ende entlädt sich der Konflikt zwischen Thiel und Lene in einem Doppelmord.13 Dieser Aufbau ähnelt dem eines Dramas. Deshalb wird die Novelle auch als Schwester des Dramas bezeichnet. Auch inhaltlich gesehen ist die Geschichte eine Novelle. Das typische Dingsymbol ist mit der Eisenbahn gegeben. Als Dingsymbol werden in der Literatur Gegenstände, Tiere oder auch Pflanzen bezeichnet, die im jeweiligen Werk eine symbolhafte Bedeutung haben. Die Eisenbahn zeigt sowohl den Fortschritt der Menschheit, aber auch die Gefahr da. Als Ungeheuer der Geschichte repräsentiert die Eisenbahn die Gefahr der Technik und der industriellen Revolution. Unerhörte Begebenheiten gibt es viele. Zum Beispiel den Tod von Minna und Tobias, sowie den Mord an Lene und dem Säugling. Zudem kommen nur wenige Figuren vor und der Fokus liegt auf der Hauptfigur Thiel. Novellistische Studie: Um einer novellistischen Studie gerecht zu werden, muss eine Lektüre ein innovatives und wissenschaftliches Werk sein, welches allerdings den Kriterien einer Novelle entspricht.7 Die Novelle wurde in der Epoche des Naturalismus geschrieben. Zu dieser Zeit versuchten Autoren die «Wirklichkeit» dem Leser möglichst nahe zu bringen. Zum Beispiel sprechen die Figuren im Dialekt. Ebenfalls spielt die Symbolik der dämonischen Natur eine zentrale Rolle in der Novelle. Dies ist ein weiteres Merkmal. Weiteres zu diesem Thema ist in der Interpretation zu finden.
Intertextuelle Bezüge und Anspielungen zu anderen Werken (25:19-26:30) Es ist nicht bekannt, ob die Geschichte auf wahren Begebenheiten basiert. Von Hauptmann gibt es verschiedene Aussagen zu dieser Frage. Nach eigenen Angaben erinnert er sich nicht daran, ob ihm ein Unfalltod eines anderen Kindes als Vorlage diente. Inspiration fand er aber in der Nähe seines Wohnsitzes. Hauptmann lebte nämlich selbst zu Entstehungszeiten der Novelle am Stadtrand von Berlin.8 In Forschung und Kritik ähnelt «Bahnwärter Thiel» dem Stück «Papa Hamlet». In «Papa Hamlet» wird durch Komik die übertriebene Abbildung der Wirklichkeit klar. Thiel selbst lebt nur teilweise in der Wirklichkeit und zu Ende gar nicht mehr.
Inspiration hat sich Hauptmann wahrscheinlich von den Dramen «Woyzeck» und «Lenz» von Georg Büchner geholt. Diese Novellen weisen viele Parallelen zu der Geschichte von Hauptmann auf. Auch in diesen Werken entwickeln Protagonisten psychische Störungen.8 Ebenfalls erinnern der Tod eines Kindes und den Fokus auf Religion stark an diese Werke. 9
Bezüge zur Biografie des Autors + Diskussion (26:30-28:52) Gerhart Hauptmann wird 1862 in Salzbrunn, Polen geboren. Er ist der Sohn von Hotelbesitzern. Hauptmann war Dramatiker und Schriftsteller. Nach seinem Besuch der Realschule beginnt er die Ausbildung als Landwirt, welche er aber abbricht. Seine Karriere als Landwirt ist Verbunden mit der Novelle. Lene selbst wirtschaftet auf dem Land und arbeitet auf dem Feld. 1885 heiratet Hauptmann und bekommt drei Söhne. Danach zieht er nach Berlin. Die Handlung der Novelle «Bahnwärter Thiel» findet in der Nähe seines damaligen Wohnortes statt. 1912 erhält er den Nobelpreis für Literatur. 1946 stirbt er in Polen.